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"Aus dem Schmerz des Verlusts wird ein Schatz."

Gottesdienst zum Totengedenken der Polizei

Über „Trost und Wegweisung“ hat der Polizeipfarrer Dr. Armin Kistenbrügge im hessischen Gedenkgottesdienst 2022 für im aktiven Dienst verstorbene Polizistinnen gepredigt. Die Gedenkfeier am 8. November lud ein, Erinnerungen für die Zukunft zu bewahren.

Die Evangelische Polizeiseelsorge gestaltete den Gottesdienst zum Gedenken an die in der aktiven Dienstzeit verstorbenen Polizistinnen und Polizisten in Zusammenarbeit mit anderen. Die Gedenkfeier bot Raum, Erinnerungen an die Kolleginnen und Kollegen nachzugehen und lud ein, diese für die Zukunft zu bewahren. Denn „aus dem Schmerz des Verlusts wird ein Schatz, der aufgehoben werden kann“.

Lesen Sie im Folgenden die Predigt von Pfarrer Dr. Armin Kistenbrügge:

Liebe Angehörige, liebe Kolleginnen und Kollegen der Polizei, liebe Gemeinde!

Nicht nur guter Rat: Auch guter Trost ist teuer. Eigentlich nicht zu bezahlen. Der besteht nicht nur aus guten Worten. Auch gute Worte können einen untröstlich zurücklassen: Die gut gemeinten, die aufmunternden, die erklärenden, die die persönliche Katastrophe versuchen, ein wenig einzupacken, damit man dem mit dem Schmerz und der Trauer nicht so unbekleidet dasteht.

Trost zu spenden ist manchmal einfach furchtbar schwer: Wie spricht man mit den Kollegen, die mit dem Verstorbenen lange ganz eng zusammengearbeitet haben und ein Team waren, das gemeinsam durch dick und dünn gegangen ist? Wie überbringst du eine Todesnachricht an die Eltern? An die Ehefrau. An die Tochter. Und wer erklärts den kleinen Kindern?

Wo soll da plötzlich Trost herkommen, wenn eine Frau ihren Mann, eine Mutter ihren Sohn oder ein Vater seine Tochter verliert? Erklärungen jedenfalls trösten einen da nicht, auch keine frommen. Die gehören eher zu der Platte, die wieder und wieder von vorne erklingt und nichts ändert.

Ich weiß nicht, ob ich Sie heute trösten kann. Aber wir können zusammen danach suchen, wo man Trost finden kann und wie er sich vielleicht anfühlt. Ich habe als Pfarrer natürlich in der Bibel danach gesucht. Und dieses Wort aus einem sehr alten Trostbuch gefunden. Das hat der sogenannte „Zweite Jesaja“ als Prophet geschrieben, um sozusagen ein ganzes Volk zu trösten. Aber das sind auch erstmal bloß Worte.

Ich habe die erst wirklich begriffen, als ich damit eigene Erfahrungen gemacht habe, wie sich die eigene Trauer ganz langsam verwandelt. Was aus dem eigenen Schmerz wird. Wie man mit dem Verlust leben kann. Mit ihm, nicht um ihn herum. Wie die Liebe sich verwandelt und auf diese Weise bleiben kann, obwohl der Geliebte nicht mehr da ist. Erst da habe ich verstanden, was Trost wirklich ist: Ich möchte ihnen davon erzählen.

Das Erste, was ich begriffen habe, ist:

Trost bekommt man nicht in einem Stück. Trost entsteht auf einem Weg. Auf einem Heilungsweg. Ein alter Pfarrer hat das mal mit dem Weg über eine Brücke verglichen: Die Trauer ist ein Gang rüber über diese Brücke - und wieder zurück – hinüber, dorthin, wo man mit ihm oder mit ihr war, die Jahre des gemeinsamen Lebens. Und dann gehst du wieder zurück über die Brücke in dein Leben. Dieses Hin- und Hergehen ist wichtig. Denn da ist etwas abgerissen. Brutal abgebrochen. Mitten aus dem Leben gerissen, als hätte einem das Leben was geraubt. Die Erinnerung fügt es zusammen, immer wieder. Da ist etwas verloren gegangen. Die Erinnerung sucht es auf und findet es. Immer wieder. Da ist etwas von einem selbst weggegangen. Man braucht es. Man geht ihm nach. Man muss es wiedergewinnen, wenn man leben will. Man muss das Land der Vergangenheit erwandern, hin und her. -- Bis der Gang über die Brücke auf einen neuen Weg führt. Was wir also jetzt machen, ist einmal zusammen über diese Brücke gehen.

Das geschieht durch das Erzählen. Immer wieder. Sie müssen sie erzählen, diese Lebens-Geschichten von den Menschen, an die wir heute denken. An welches gemeinsame Erlebnis denken Sie gerade beim Gedanken an den Menschen, den Sie hier betrauern? Wo waren sie da zusammen? Welchen Spruch hat er immer gemacht? Worüber haben sie gelacht? Was haben sie an ihr gemocht? Beim Erzählen denke ich eher an solche kleinen Szenen, nicht an die großen Lebenslinien, was in einer Ehrung als „Lebensleistung“ wertgeschätzt wird, ob sie jetzt eine Straße nach dir benennen oder so. Ich meine die kleinen Erinnerungs-Schätze. Die müssen aufgehoben werden. Im doppelten Sinne: Weil sie runtergefallen sind und sie keiner aufhebt. Und weil sie bewahrt werden wollen. Weil darin die Liebe zu einem Menschen steckt. Das tut am Anfang womöglich ziemlich weh, aber das ist die Art und Weise, wie man ihn oder sie damit nochmal umarmen kann. So kann die Liebe mitten im Verlust wieder zu Wort kommen. Und so geschieht nach und nach eine Verwandlung. Aus dem Schmerz wird ein Schatz, der aufgehoben werden kann wie in einem kleinen Kästchen der Erinnerung.

Und dann gelingt es auch, die schlimmen Erinnerungen zu ertragen, weil sie von diesen vielen Geschichten liebevoll eingerahmt werden: Als Sie plötzlich aus heiterem Himmel die Nachricht über den Tod bekamen. Wie man fassungslos vor der Nachricht vom Suizid stand. Oder als der Kampf mit der Krankheit, dieses Hoffen und Bangen und wieder Verzweifeln, verloren war und man wie leer war.

Wenn man dann diesen Weg mit den vielen Gängen über die Brücke geht, immer bloß einen Schritt nach dem anderen, dann kann da was heilen.

Aber zur Heilung gehört noch ein Zweites:

In dem Spruch aus dem Jesajabuch ist davon die Rede, dass dich jemand begleitet. Trost entsteht durch Nähe. Es ist die Beziehung, die tröstet. Nicht das Wort allein oder die Lösung eines Problems. „Trösten bedeutet nicht, jemandem das Leid abzunehmen, sondern bei ihm zu sein“, hat der katholische Theologe Henri Nouwen mal gesagt. Diese Nähe muss man aushalten wollen. Als Kollege zum Beispiel. Wenn man zum xten Mal die gleiche Geschichte hört. Dann zu wissen: Das ist erst der vierundvierzigste Gang über die Brücke, der Weg ist noch nicht zu Ende - das hilft. Nähe entsteht dadurch, dass man mit seiner Trauer da sein darf. So, wie man gerade einfach ist. Nicht wie man sein sollte oder wie stark und abgeklärt man gerne wäre.

Wie sich diese Nähe anfühlt, dafür gibt es in dem Prophetenbuch, von dem ich eben erzählt habe, an einer anderen Stelle noch ein wunderbares Bild. Da sagt Gott dem untröstlichen Volk: „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“ (Jesaja Kapitel 66, Vers 13) Können Sie sich erinnern, wie ihre Mutter sie getröstet hat? Bei mir war das so: Meine Mutter hat ihren Sohnemann auf den Schoß genommen, wenn er angelaufen kam. Er konnte Rotz und Wasser heulen. Sie hat nicht gesagt: „Reiß dich zusammen, ein Indianer kennt keinen Schmerz.“ Dann hat sie ihm die Nase geputzt, dann wars schon nicht mehr ganz so schlimm, sie hat gepustet und ihm dann ein beeindruckendes Pflaster irgendwo hingeklebt. Und man konnte aufatmen. Kennen Sie das noch, das schluchzende Einatmen, von früher?

Das bedeutet übrigens Trost im Hebräischen, also in der Sprache der Bibel: ""Nacham (nacham, das steckt in biblischen Namen wie „Menachem“, der Getröstete) bedeutet: Aufatmen können. Wieder Luft bekommen.

Lassen Sie uns einmal zusammen tief aufatmen! Tut gut, oder?

So ein Trostpflaster heilt eigentlich erstmal nichts. Aber es soll nicht einfach die Wunde verstecken, als wäre dann alles gut. Das Pflaster hat einen anderen Zweck. Es zeigt: „Du bist verletzt, das sehe ich. Und das dürfen auch die anderen sehen. Aber damit kannst du wieder rausgehen. Mit der schlimmen Wunde.“

Diese Wegweisung, das ist das dritte, was ich habe.

Zum Trost muss nämlich noch was dazukommen. Wo Gott einen tröstet, gibt er zugleich immer auch Wegweisung. Das ist eine geistliche Grundregel: Bei Gott gehören Trost und Wegweisung immer zusammen. Ein Trost, der einen nur den Kopf tätschelt, aber ohne Perspektive bleibt, ist kein Trost Gottes. Und eine Weisung, die nicht tröstet, sondern einem nur wieder Beine machen will, ist keine Weisung Gottes.

Und dann ist der Zeitpunkt gekommen, wo der Weg über die Brücke auf einen neuen Weg führen kann. Nicht weg von der Erinnerung. Die wird nicht zurückgelassen. Im Gegenteil. Jetzt kann man sie mitnehmen. Weil sie einen stärkt. Und segnet.

AMEN

Pfarrer Dr. Armin Kistenbrügge


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