Aufgaben und Ziele der Polizeiseelsorge
Die Polizei arbeitet an den Brennpunkten der Gesellschaft. Ob auf der Autobahn, nachts im Bahnhofsviertel, bei einer Fußball-Europameisterschaft in der Fanzone (Foto links) oder im Winter bei einem schweren Verkehrsunfall im Odenwald: Täglich begegnen die Polizist:innen und andere Polizeibedienstete Menschen in ganz unterschiedlichen Lagen und Situationen. Dabei haben Polizist:innen oft mit schwierigen Personen zu tun, nicht selten mit Straftätern und Kriminellen. Sie werden Zeuge von überwältigendem Leid und großer Trauer. Oder von tausendfacher, überschäumender Freude und Euphorie. Von Polizist:innen wird erwartet, mutig und beherzt "im ersten Angriff", also sofort, unübersichtliche Situationen zu stabilisieren, in denen selbst Leib und Leben gefährdet werden können. Sie sollen und müssen später besondere - auch schlimme - Umstände reflektiert und angemessen professionell bearbeiten.
Dass solches nicht spurlos an einem vorübergeht, hat mancher schon erlebt. Etwa wenn man es als Niederlage empfindet, aus einer Auseinandersetzung nur als 2. Sieger hervorgegangen zu sein. Oder wenn man sprachlos einem verzweifeltem Menschen gegenübersteht und vergeblich nach Worten des Trostes ringt.
Sicher perlt manches mit der Zeit einfach ab. Man darf sich nicht jeden Schuh anziehen. Außerdem müssten viele Probleme eigentlich von der Politik oder Fachleuten wie Pädagog:innen und Sozialarbeiter:innen gelöst werden. Man weiß, sich zu distanzieren und das meiste achselzuckend links liegen zu lassen.
Doch über die Zeit hinweg bleibt von den vielen, im einzelnen gut bewältigten Situationen etwas in den Kleidern haften. Das führt zu typischen "Berufskrankheiten" von Polizist:innen, die besonders im Privatbereich auffallen, etwa ein gesteigertes Misstrauen oder automatisch ablaufende Maßnahmen der Eigensicherung selbst in den eigenen vier Wänden. Es ist die tägliche, über das normale Maß hinausgehende Belastung, die in Jahren aufgetürmt manchem irgendwann zuzusetzen beginnen - wenn es nicht ein bestimmtes herausragendes Ereignis ist, mit dem man einfach nicht fertig wird.
Begleitung und Seelsorge - mit Schweigepflicht und Zeugnisverweigerungsrecht
Polizeibeamt:innen sind von Beruf "Helferin und Helfer". Aber auch Helfende können gelegentlich hilflos sein und bedürfen der Hilfe. Den Polizist:innen und anderen Mitarbeitenden der Polizei Hilfe und Begleitung anzubieten, ist die Aufgabe der Polizeiseelsorge. Sie wendet sich auch an Angehörige der Wachpolizei und Angestellte in Polizeibehörden. Bei der Polizeiseelsorge kann man
- über Niederlagen und Enttäuschungen sprechen,
- für Frust und burn-out ein offenes Ohr finden,
- familiäre Konflikte und Ärger auf der Dienststelle offen diskutieren,
- bei Schuld und schlechtem Gewissen Trost und Zuspruch sich holen,
- aber auch Fähigkeiten einüben, emotional schwierige Situationen künftig besser zu meistern.
Polizeiseelsorge ist ein durch den Dienstherrn gefördertes, jedoch unabhängiges Angebot der beiden großen Kirchen. Auf dem Hintergrund von Schweigepflicht und gesetzlich garantiertem Zeugnisverweigerungsrecht sollen - ohne "missionarische" Anmache - Polizist:innen in ihrem Dienst unterstützt werden.
Sicher ist es nicht einfach, solche Hilfe anzunehmen. Ist es für Polizist:innen im Einsatz doch geradezu überlebenswichtig, Stärke nicht nur auszustrahlen, sondern auch wirklich über Stärke zu verfügen. Über lange Jahre derart trainiert, fällt es umso schwerer, in gewissen "schwachen Stunden" ein Bedürfnis nach Unterstützung einzugestehen. Mancher mag auch den Spott der Kolleg:innen über das vermeintliche Weichei fürchten. Natürlich ist es keine Schande, sensibel und empfindungsfähig zu reagieren. Dennoch scheut manche und mancher das offene Gespräch über die eigene Belastung.
Die Polizeiseelsorge will zu einem ehrlichen Wort einladen! Kein Thema, das nicht offen - ohne Angst vor Abwertung oder negativer Beurteilung - angesprochen werden kann. Selbstverständlich soll niemandem ein Glauben "übergestülpt", oder plumpe Werbung für eine bestimmte Glaubensrichtung gemacht werden. Willkommen ist auch jeder, der keine oder nur sehr lockere kirchliche Bindungen hat - ebenso jede, die einer anderen Religionsgemeinschaft als der evangelischen Kirche angehört. Die Polizeiseelsorge ist seit Jahrzehnten erfolgreich ökumenisch orientiert.
Breites Angebot von Seelsorge, Fortbildungen und Gottesdiensten
Über die Einzelgespräche hinaus versucht die Polizeiseelsorge durch ein breites Angebot an Tagungen, Familienfreizeiten, "Auszeiten", Seminaren auf der Dienstelle sowie durch Mitarbeit in der Aus- und Fortbildung an der Hessischen Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit (HöMS) und der Hochschule der Polizei Rheinland-Pfalz mit ihren spezifischen Themen einen unterstützenden Beitrag zu leisten. Die Wertevermittlung soll helfen, den eigentlichen Dienst besser ausgerüstet verrichten zu können.
Doch der Mensch lebt bekanntlich nicht von Brot und Arbeit alleine. Gottesdienste, Andachten, Neujahrsempfang oder Adventsfeiern - häufig mit den ökumenischen Partner:innen und tatkräftiger Hilfe engagierter Mitarbeitender der Polizei durchgeführt - laden zum Nachdenken, Erholen und zur seelischen Stärkung ein.
Sprechen Sie uns an!
Egal, ob Sie jemanden brauchen, um sich offen auszusprechen, ob Sie gemeinsam mit uns beraten wollen, eine bestimmte Krise anzugehen oder ob Sie Interesse an einer Fortbildung oder einem Gottesdienst haben, Sie können sich darauf verlassen, dass unser Ohr Endstation für alles Gehörte ist. Rufen Sie uns an - auch zur "Unzeit". Oder sprechen Sie mit uns, wenn wir uns gelegentlich begegnen. Wir freuen uns auf das Gespräch mit Ihnen. Hier finden Sie den Kontakt zu uns.
Dr. Martin Schulz-Rauch / mkr