Geistlicher Impuls für Juli 2025
Auf die Zwischenräume kommt es an
Felsenhöhlen für christliche Einsiedler
Kategorie: Impulse
Quelle: Polizeipfarramt der EKHN
Bildrechte: ©Polizeipfarramt_M.Grimm
Von Polizeipfarrer Dr. Michael Grimm
Im Rahmen eines Pilgertags besuchten wir kürzlich mit einer Gruppe von Polizistinnen und Polizisten die Felseneremitage bei Bretzenheim an der Nahe. Es war wie das Eintauchen in eine fremde und zugleich faszinierende Welt. Mehr als tausend Jahre lang lebten dort christliche Einsiedler in einfachen Felsenhöhlen in einem abgeschiedenen Tal. Der letzte starb im Jahr 1827 nach 51 „Dienstjahren“ in der Einsamkeit. Aber auch heute gibt es im deutschen Sprachraum noch schätzungsweise 80 bis 100 Eremitinnen und Eremiten. Wörtlich übersetzt bedeutet das Wort „Wüstenbewohner“.
„Hamsterrad“: Der Alltag wird komplexer und schneller
Was finden Menschen an dieser Lebensform attraktiv? Das einfache, zurückgezogene Leben in der Stille unterscheidet sich radikal von unserem Alltag, der durch ständigen Zeitdruck und permanente Effizienzsteigerung geprägt ist. „Wir haben unsere Welt derart beschleunigt und zugleich verdichtet“, schreibt Marcus Jauer auf ZEIT Online, „dass wir sie kaum noch zu fassen kriegen. Doch die einzige Antwort, die wir darauf haben, scheint nur noch mehr Komplexität und höhere Geschwindigkeit zu sein. Es ist wie in einem dieser Cartoons, in denen irgendein armer Tropf einen immer höher, immer instabiler werdenden Stapel Teller balancieren muss und dazu kopflos in verschiedene Richtungen rennt, damit das Ganze nicht umkippt und ihn unter sich begräbt.“
Als Polizeiseelsorger nehme ich wahr, dass Polizistinnen und Polizisten immer wieder über Zeitdruck in Verbindung mit geforderter Effizienzsteigerung klagen. Das tägliche „Hamsterrad“ sei auf Dauer viel belastender als die Konfrontation mit Gewalt oder Tod in Einsätzen und Ermittlungen – so beschrieb kürzlich ein Polizeibeamter seine Situation.
Momente für Kreativität und Regeneration
Auf solche Erfahrungen müssen natürlich Antworten auf der Ebene der Organisation gefunden werden, denn die seelische und körperliche Gesundheit der Mitarbeitenden stellt eine wichtige Führungsaufgabe dar. Aber es gibt auch Spielräume für jeden und jede einzelne. Denn Hand aufs Herz: So sehr mich die fremdartige Lebensweise der Eremiten auch fasziniert – bin ich in der Lage und willens, in meinen vollen Alltag immer wieder kleine Unterbrechungen einzubauen, in denen ich aufatmen kann?
Es ist auch eine Frage meiner Einstellung, ob ich mir Momente gönne, die scheinbar leer und ineffizient sind, mir aber helfen zu regenerieren und mir neue Kreativität schenken.
Zwangspausen und Zwischenräume im Leben: Wasser aus einer anderen Quelle
Manchmal wird man auf solche Momente gestoßen. Als ich noch Gemeindepfarrer war, lag zwischen meinem Büro im Pfarrhaus und dem Gemeindehaus ein beschrankter Bahnübergang, der zweimal stündlich von einem Regionalzug befahren wurde. An manchen Arbeitstagen stand ich auf dem Weg zwischen Büro und Gemeindehaus sechsmal vor verschlossener Schranke. Das Warten nervte mich anfangs furchtbar, denn ich hatte doch so viel Wichtiges zu erledigen. Aber irgendwann dachte ich: Okay, du kannst es nicht ändern. Und dann begann ich meinen „Tunnelblick“ für kurze Zeit abzulegen und die kleine Zwangspause an der Schranke tatsächlich zu genießen.
Ich glaube, wir brauchen solche Zwischenräume im Leben. Wir müssen keine Angst davor haben, dass sie leer sein könnten. Denn in Wirklichkeit sind sie wie Wasser aus einer anderen Quelle. Sie helfen uns einfach nur da zu sein, ohne immer gleich nützlich sein zu müssen. Und vielleicht ist genau das der Impuls, den uns Eremitinnen und Eremiten in unseren (Polizei-)Alltag mitgeben können.
Wie halten Sie es mit Ihren kleinen Zwischenräumen?
Ihr Polizeiseelsorger Michael Grimm