nach 1900: Anfänge der Polizeiseelsorge in Deutschland
Die Anfänge der Polizeiseelsorge in Deutschland sind nicht eindeutig fest zu machen. Während der Kriegsdienst und die Seelsorge an Soldaten die Kirchen schon früh beschäftigten (zum Beispiel: Martin Luther, Ob Kriegsleute auch im seligen Stand sein können, 1526) kommt ihnen die Polizei erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den Blick.
Verbürgt ist im Frühjahr 1904 die höfliche Anfrage eines Schutzmanns bei Hedwig von Redern, prominente Aktivistin der Berliner Stadtmission. Er bat sie um Unterstützung bei der Einberufung einer "christlichen Versammlung für Schutzleute", diese "bedürften etwas Besonderes, weil sie Zivilpersonen gegenüber immer eine Art abgeschlossener Stellung einnähmen." Die beruflich bedingte Isolierung also bewog Schutzleute sich untereinander auf christlicher Grundlage, überkonfessionell und selbst organisiert besonderen Rückhalts zu versichern. Dieses Modell funktionierte in England bereits seit 25 Jahren und war dem wilhelminischen Preußen darum zunächst als "englisches Gewächs" suspekt. Hedwig von Redern gelang es aber prominente Mitstreiter und die Unterstützung einzelner Gemeinden und Vereine zu gewinnen.
Am 18. Oktober 1906 wurde der "Bund christlicher Polizeibeamter" gegründet, dessen Statut durch die Polizeipräsidenten von Berlin, Charlottenburg, Schöneberg und Rixdorf bestätigt. In anderen deutschen Städten kam es zu ähnlichen Initiativen. Ihre Spuren verlieren sich zwar in den Umbrüchen des 1. Weltkrieges, festzuhalten aber bleibt: Am Anfang der Polizeiseelsorge stand die Nachfrage, der polizeiliche Wunsch nach christlichem "backing". Kirchliche Angebote folgten.
In Bayern erhielt 1920 der Priester Joseph Schneider einen Polizeiseelsorgeauftrag, in Münster 1924 Reinhold Friedrichs. Für Hessen ergab eine Umfrage des Evangelischen Oberkirchenrates zu Berlin 1932, dass auf (ehemals) preußischem Gebiet mit Polizeiseelsorge in Kassel, Hanau, Wiesbaden und Frankfurt bereits begonnen worden war. Am 10. April 1933, also kurz nach der Machtergreifung Hitlers, erließ das Reichs- und Preußische Ministerium des Innern erste "Bestimmungen über die Polizeiseelsorge". Wie der Abschluss des Reichskonkordats mit dem Vatikan im selben Jahr erwiesen sich diese als ein trügerisches Zeichen von Einverständnis. Mit Eingliederung der Landespolizei in die Wehrmacht 1937 erledigte sich deren rechtliche Grundlage. Kirchliches Engagement innerhalb der Polizei wurde unterbunden, die Seelsorger "mit Dank" verabschiedet. Der Vorgang zeigt, dass Vereinbarungen nur so weit tragen, wie Geist und Wille der Beteiligten dies zulassen.
Nach dem 2.Weltkrieg galt es auch auf dem Gebiet der Polizeiseelsorge neu anzufangen. Für den ersten Präsidenten der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), Martin Niemöller, stand außer Frage, dass Kirchen sich auf diesem Feld engagieren sollten, in Frage aber die Art und Weise, das "wie". Als kaisertreuer U-Bootkommandant im 1. Weltkrieg, dann persönlicher Gefangener Adolf Hitlers im 2. war er in der eigenen Biographie stark durch die politischen Umbrüche des 20. Jahrhunderts geprägt. Das gestörte Verhältnis von Kirche und Staat musste in der sich etablierenden Bundesrepublik erst austariert werden und es will fast so scheinen, als ob die Polizeiseelsorge dabei ein Experimentierfeld war. Haltung der Kirche war: Polizeiseelsorge ja, aber nur in eigener Verantwortung. Für den Staat stellte sich die Frage, wie weit er einen solchen Dienst, der sich seiner Kontrolle teilweise entzieht, an gesellschaftlich sensibler Stelle (Gewaltmonopol) zulassen konnte und wollte.
Wolfgang Hinz, Polizeipfarrer der EKHN von 1995 bis 2022