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seit 1953: Anfänge der Evangelischen Polizeiseelsorge in Rheinland-Pfalz

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Pfarrer Hans Dörr

Am 10. November 1953 lud das rheinland-pfälzische Innenministerium Vertreter der Bistümer Limburg, Mainz, Speyer und Trier sowie der Evangelischen Kirche des Rheinlandes (EKiR), der Protestantischen Landeskirche der Pfalz und der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) nach Mainz ein, um mit ihnen "die Frage der Seelsorge an den im Polizeidienst des Landes Rheinland-Pfalz stehenden Beamten" zu erörtern. Diese staatliche Initiative war der erste Versuch entsprechende kirchliche Anfragen und Aktivitäten zu sichten und auf eine gemeinsame Grundlage zu stellen. Schließlich ging es dabei um die grundsätzliche Frage, inwieweit der Staat an gesellschaftlich sensibler Schnittstelle bei der Ausübung des Gewaltmonopols eine Begleitung seiner Beamten zulässt, die er nicht selbst verantwortet oder kontrolliert. Insofern war dies ein paradigmatischer Testfall in Sachen "Subsidiarität und Solidarität", jener Prinzipien also, die beim Aufbau des neuen demokratischen Staatswesens in Deutschland eine bedeutsame Rolle spielten.

Rückblick: Lehren aus der Nazizeit

Ein Rückblick auf die letzten 50 Jahre zeigt, dass die vertrauensvolle Kooperation zwischen Staat und Kirchen sich in der Polizeiseelsorge bewährt hat. Gleichwohl war auch sie zunächst einem Wechselspiel von "trial and error" unterworfen und bedurfte beiderseits behutsamer Erprobung, wie die Anfänge zeigen.

Eine kirchliche Betreuung von Sicherheitskräften kam Martin Niemöller, seit 1947 Kirchenpräsident der neu konstituierten Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), erstmals im Oktober 1950 in den Blick. Inmitten heftigster Auseinandersetzungen mit Bundeskanzler Adenauer um die Wiederbewaffnung Deutschlands erfuhr er von Rekrutierungsversuchen an evangelischen Pfarrern durch amerikanische Militärs. Analog zu ihrem Betreuungssystem mit militäreigenen Chaplains suchten sie entsprechende Begleiter für ihre deutschen Hilfskräfte. Eine solche Konstruktion akzeptierte Niemöller nicht. Die Jahre nationalsozialistischer Gefangenschaft hatten ihn sensibilisiert gegenüber aller staatlichen Gewalt und etwaigen Vereinnahmungsversuchen: "Wenn ein der Landeskirche verantwortlicher Pfarrer berufsethischen Unterricht gibt, so ist das absolut in Ordnung, wenn dieser Unterricht vom Evangelium her erteilt wird und nicht etwa nach den Wünschen und Planungen des Polizeiministers.“ Im Oktober 1952 nahm die Kirchenleitung der EKHN "in Aussicht, für die Polizei im Lande Hessen einen hauptamtlichen Pfarrer anzustellen".

Breits am 1. Dezember 1952 erhielt Pfarrer Joachim Kietzig neben der Betreuung der Gemeinde Schadeck/Lahn den Auftrag, die Seelsorge an Polizeiverbänden nicht nur in Hessen, sondern im ganzen Kirchengebiet wahrzunehmen, also auch in Rheinhessen und dem Bereich Montabaur. In Berlin hatte Kietzig zuvor 14 Monate für den Labor Service der Amerikaner gearbeitet, Unterricht und Seelsorge betrieben, war dann aber nach internen Streiks wegen Unstimmigkeiten mit der amerikanischen Führung entlassen worden. Nicht zuletzt dieser Umstand, so ist zu vermuten, qualifizierte ihn in Niemöllers Augen für das neu zu entwickelnde Arbeitsfeld. Mit Elan ging er die Aufgabe an und knüpfte umgehend Kontakte zu Dienststellen und Ministerien in Wiesbaden und Mainz, der Landespolizeischule in Bad Ems, auch zum Ordinariat in Limburg. Aus den Behörden wusste er schon bald von freundlichem Interesse zu berichten, wobei die kirchliche Bindung einzelner Regierungsbeamter förderlich war, spürte aber auch Befürchtungen vor "kirchlicher Einmischung". Regelmäßige Vorträge wurden ins Auge gefasst, zunächst aber nicht umgesetzt. Nach weiteren Besuchen begannen die Apparate langsam zu kreisen. In der Hessischen Polizeischule Wiesbaden nahm er abendliche Stubenbesuche auf, die zu angeregten Gesprächen mit den jungen Anwärtern über "Gott und die Welt" führten, auf höhere Weisung aber wieder eingestellt werden mussten.

Verhandlungen mit staatlichen Stellen

Ein weites Feld mit vielen offenen Fragen tat sich vor Kietzig auf. Struktur- und Konzeptionsfragen waren zu klären, praktische Polizeiseelsorge vor Ort zu leisten, all dies in zwei Bundesländern neben seinem Gemeindeauftrag und ohne eigenes Auto - ein zeit- und kräftezehrendes Unterfangen, das die Möglichkeiten eines einzelnen weit überstieg. "Stürmischer Natur", wurde er ungeduldig und drang Ende September 1953 bei einem neuerlichen Besuch in Mainz unangemeldet (!) zu Innenminister Dr. Zimmer vor, aufgebracht durch die Auskunft eines Mitarbeiters, "der Herr Minister müsse erst für seine Polizeileute Wohnungen bauen". Der Minister machte "Gründe" für den langsamen Fortgang der Dinge geltend, nannte aber nur einen: die Koordination der zahlreichen kirchlichen Anbieter im Lande. Ein weiterer Grund dürfte der Aufbau neuer Polizeistrukturen in Rheinland-Pfalz gewesen sein, der Kräfte band, ebenso die Arbeit an einem einheitlichen Polizeiverwaltungsrecht, das die bayrisch-preußisch-hessischen Traditionen im Land vereinen sollte und am 1. April 1954 in Geltung trat. Staatskirchenrechtliche Fragen, gewerkschaftliche Forderungen und sicherlich auch die Wohnungsfrage kamen hinzu. Das zunächst "frostige" Gespräch endete immerhin mit der Zusicherung des Ministers, sich bald mit allen Kirchen ins Benehmen zu setzen. Am 10. November 1953 war es so weit. Die evangelischen Kirchen benannten Oberkirchenrat A. Kopp, Speyer, zu ihrem Verhandlungsführer.

Vier Monate später, am 16. März 1954, erließ der Minister die erste Rundverfügung "Betr.: Seelsorgerische Betreuung der Angehörigen der Polizei". Darin wurde die "ausschließliche Verantwortung der Kirchen" für diese Arbeit festgehalten und begrüßt. Bei der Bewährung des Beamten im Dienst "als Mensch", der "Stärkung seiner inneren Werte" angesichts der Aufgabe, "polizeiliche Tatbestände nach höchsten ethischen Maßstäben zu beurteilen", traute man der "Seelsorge einen nicht unwesentlichen Dienst" zu. Bereitschaftspolizei und Landespolizeischule sollten als erste betreut werden. Im Rahmen des Dienstplans war pro Lehrgang jeweils ein Vortrag jeder Konfession vorgesehen ohne Zwang zur Teilnahme, weitere Veranstaltungen außerhalb der Dienstzeit aber in dienstlichen Räumen wurden in Aussicht gestellt. Damit war erstmals ein Bildungsauftrag für Polizeiseelsorger formuliert, dessen Umfang der evangelischen Seite allerdings wenig wirkungsvoll erschien. Vor allem wurde bedauert, dass der Zugang zu den Dienststellen und damit die Chancen zu konkreter Seelsorge nicht geregelt waren. Daran änderten auch erweiternde Bestimmungen im Mai 1955 nichts, die eine Intensivierung der Vortragstätigkeit (14-täglich) vorsahen, Berufsethik als "Bestandteil der Gesamtausbildung" davon aber unterschieden wissen wollten. Die Finanzierung blieb trotz zaghafter Vorstöße Sache der Anbieter.

Im September 1954 führte Pfarrer Kietzig gemeinsam mit Dr. Hans Kallenbach die erste "Tagung für Beamte der Polizei" in der Evangelischen Akademie Arnoldshain durch. Interessante Themen wie "Recht und Gnade in der Exekutive" sowie Referenten aus Bonner und Wiesbadener Ministerien zogen vor allem hessische Beamten an. Ab Oktober hielt Kietzig monatliche Vorträge in Mainz vor bis zu 70 Hörern unter Fragestellungen wie "Kann der christliche Glaube den Beruf durchdringen?" (11.10.) oder "Der Charakter und seine Bildung" (6.12.). Sein Resümee: "Hier in Mainz kann ich zum ersten Mal voll Befriedigung auf diese meine Arbeit blicken. Der persönliche Kontakt ist gegeben und die Aussprachen sind schließlich immer wirklich seelsorgerliche Gespräche." Der Wechsel in die Gemeinde Egelsbach bei Darmstadt machte seine Einsätze als Polizeiseelsorger entlang der Rheinschiene zunehmend umständlicher, eine Erkrankung im Frühjahr 1956 führte schließlich zu seiner Entpflichtung aus diesem Arbeitsfeld, das er für seine Kirche zwar erstmals abgesteckt, aber keineswegs als erster beackert hatte.

Ethische Bildung für Polizeikräfte

Vor jeder staatlichen oder kirchlichen Regelung, quasi in aller Stille, war Pfarrer Hans Dörr gemeinsam mit seinem römisch-katholischen Kollegen August Ernst König bereits 1950 in Bad Ems an der dortigen Landespolizeischule tätig geworden, deren Leiter, Polizeidirektor Graf von Merveld, hatte sie eingeladen. "Meine Tätigkeit bestand im Wesentlichen darin, dass ich in jedem Kursus einen Vortrag über ein von mir gewähltes Thema gehalten habe: Todesstrafe in christlicher Sicht; Wozu ist die Kirche da?; Kirche und Staat vom evangelischen Standpunkt; Der Christ und die Politik usw.. Der katholische Pfarrer hielt an einem anderen Tage ebenfalls einen Vortrag, ebenso vor der gesamten Belegschaft. Es kamen nach den Vorträgen immer wieder einmal Teilnehmer zu uns, um sich über die eine oder andere Frage weiter zu unterrichten. Es kam auch zu wiederholten seelsorgerlichen Gesprächen“, schilderte Dörr rückblickend in seinem ersten Tätigkeitsbericht 1954. An der bewährten Zusammenarbeit wurde im allseitigen Einvernehmen festgehalten, auch dann, als die Schule nach Koblenz umzog und eigentlich Vertreter der Kirche im Rheinland am Zuge gewesen wären. Gemeinsam mit dem Männerwerkspfarrer G. Zühlsdorff, Darmstadt, lobte Dörr im November 1960 eine Tagung für evangelische Beamte der Polizei in Rheinland-Pfalz (Regierungsbezirke Mainz und Montabaur) in Kronberg/Taunus unter dem Oberthema "Menschen im Staatsdienst" aus. 1963 ging Pfarrer Dörr in den Ruhestand. Für ihre Pionierarbeit in der Polizeiseelsorge erhielten er und Pfarrer König das Bundesverdienstkreuz.

Doch zurück in die 1950-er Jahre. 1956 stieg die Nachfrage an Polizeiseelsorgern spürbar. Die Kirche hatte ihre liebe Not, weitere Pfarrer für diesen Dienst zu gewinnen. Bitten der Bezirksregierung Montabaur gingen dahin, "seelsorgerische Betreuung auch den Gendarmeriebeamten des Einzeldienstes zugutekommen zu lassen. Eine solche könnte von Fall zu Fall anlässlich der monatlich stattfindenden Dienstversammlungen erfolgen." Die kirchlichen Drähte liefen heiß. Anfang 1957 waren neben Dörr in Bad Ems, die Pfarrer Eitel in den Kreisen Ober- und Unterwesterwald, Gramm im Unterlahnkreis und Kirmes im Kreis St. Goarshausen, im Regierungsbezirk Rheinhessen kurze Zeit Dr. Sorge, Worms, dann Pfarrer Schütz, Mainz, für die Polizei tätig. Abrupt beendete eine Verfügung Ende März 1957, was gerade erst begonnen hatte. Innenminister Dr. Zimmer hatte den Eindruck gewonnen, dass die freiwillige Teilnahme an Veranstaltungen kirchlicher Vertreter nicht ausreichend gewährleistet sei. "Um auch nur den Anschein zu vermeiden, als ob ein irgendwie gearteter Zwang von vorgesetzter Stelle ausgeübt und die Teilnahme unter dienstlichen Gesichtspunkten in irgendeiner Weise gewertet werde, bitten wir, die Vorträge durch Geistliche beider Konfessionen im Rahmen der monatlichen Dienstversammlungen der Gendarmerie einzustellen. Das gleiche gilt für ähnliche dienstliche Veranstaltungen der staatlichen Polizeiverwaltung." Berufsethische Referate sollten bei ausdrücklichem Wunsch der Beamten innerhalb einer Dienststelle aber weiterhin möglich sein. Die Verwirrung war zunächst groß, zeigte aber zugleich, dass es bei der Abstimmung und Profilierung der Polizeiseelsorge noch reichlich Klärungsbedarf zwischen Staat und Kirchen gab. Was vom "Evangelium her" (Niemöller) zu verantworten und wie dies einzubringen sei in einen Zusammenhang, der staatlicher Neutralität zu genügen hat, galt es erst noch auszuloten und zu erproben.

Quelle: Gemeinsame Beiräte der Polizeiseelsorge in Rheinland-Pfalz (Hrsg.), Jubiläumsbroschüre aus Anlass 50 Jahre Polizeiseelsorge in Rheinland-Pfalz, 2003

Wolfgang Hinz, Polizeipfarrer der EKHN von 1995 bis 2022

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