WissensWertes: "Politische Korrektheit" - ein Beitrag zur verbalen Abrüstung
Worte können Waffen sein. Und für manche Worte braucht man heute einen Waffenschein: „Politische Korrektheit“ zum Beispiel
Man muss das böse Wort nur aussprechen, und schon es geht los: Der Blutdruck steigt. Man macht sich kampfbereit. Die einen nehmen Witterung auf und warten auf die sprachliche Provokation, die nur dazu dient, Rücksichtnahme als „Gutmenschentum“ zu verhöhnen und Diskriminierung wieder salonfähig zu machen. Die anderen setzen sich breitbeinig in Position, um sich auf die Schenkel zu klopfen, wenn einer eine Lanze für bedrohte Wortarten wie „Negerküsse“ und „Zigeunerschnitzel“ bricht und sich des Beifalls gewiss ist, wenn man den Kopf über das Gender*Sternchen schüttelt. Auch hier fühlt man sich bedroht: Von den Aufpassern, die die Verwendung von bösen Wörtern ahnden.
Das sprachliche Gelände ist vermint
Ständig läuft man Gefahr, jemandem auf die Füße zu treten. Immerzu ist einer beleidigt. Jeder Witz muss erst durch den Upload-Filter der selbsternannten Sittenwächter und Moralapostel. Es herrscht die Humor-Scharia. Jedes falsche Wort kann einen Shitstorm auslösen. Weil wir so vernetzt sind, dass alle alles mitlesen und die Filterblase jedes Wort ins Bombastische aufpustet.
Wenn aber jeder jeden kontrolliert, ist man zugleich Wärter und Insasse eines Gefängnisses. Meinte 1990 der Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt über seine Heimat. Trifft das auch auf uns schon zu?
Dabei ging es ursprünglich mal um ein ehrenwertes Anliegen: Nämlich zu zeigen, dass Diskriminierung auf dem Boden sprachlicher Missachtung besonders gut gedeiht.
Sprache ist nicht unschuldig
Wer Sprache gebraucht, zeigt mit ihr auch, worauf er Wert legt. Oder was ihm wurscht ist. Noch in den 1960-er Jahren war es gang und gäbe, von „Schwachsinnigen“ zu sprechen, Behinderte waren „Krüppel“, „Nigger“ waren Untermenschen. Wer mit Worten so behandelt wird, darf auch bei den Taten keine Zimperlichkeit erwarten. Wer wollte ein solches sprachliches Klima heute noch hinnehmen? Solche Worte sind Spiegelbild von fehlender Empathie und Wertschätzung. Das hatte sich erst geändert, als sich welche für die so Verhöhnten und an den Rand Gedrängten ins Zeug gelegt haben.
Weil heute nicht mehr alle mitmachen, ohne nachzudenken, hat die lange selbstverständliche Lieblosigkeit Risse bekommen. Seit Mitte der 1980-er Jahre hat sich auf amerikanischen und dann auch auf europäischen Universitäten eine sprachliche Aufmerksamkeit etabliert. Und sich schließlich dann auch im öffentlichen Leben durchgesetzt.
Aber man kann auch auf der anderen Seite vom Pferd fallen. Was als sprachlicher Appell zur Abrüstung gedacht war, kann genauso zur Wort-Waffe werden. Denn Sprache ist auch dann nicht unschuldig, wenn man alles richtig machen will. Das gerät dann zum hilflosen oder übermotivierten Versuch, bloß nichts Falsches zu sagen. Statt Rücksichtnahme Verkrampftheit. So ist schließlich der Begriff der „political correctness“ als Begriff konservativer Polemik gegen diese sprachliche Überkorrektur entstanden. Die im Endeffekt dazu führen kann, Dinge bloß nicht mehr beim Namen zu nennen: Gesellschaftliche Missstände werden geschönt dargestellt. Polizisten bekommen einen Maulkorb, wenn sie mit einem Kürzel von nordafrikanischen Intensivtätern sprechen.
Mitunter fühlt man sich bei der sprachlichen Übervorsicht an die Verschämtheit erinnert, mit der noch in den 1960-ern von Sex gesprochen wurde – oder heute noch, wenn man die Verrenkungen erlebt, wenn Menschen über den Tod reden. Deshalb sieht der französische Philosoph Alain Finkielkraut die Wurzel der Politischen Korrektheit in der Weigerung, sehen zu wollen, was zu sehen ist. Aus Rücksichtnahme wird Scheuklappendenken.
Jakobus, der Bruder von Jesus von Nazareth, hat in einem Brief die Mahnung ausgesprochen: „Wenn wir den Pferden den Zaum ins Maul legen, damit sie uns gehorchen, so lenken wir ihren ganzen Leib. Siehe, auch die Schiffe, obwohl sie so groß sind und von starken Winden getrieben werden, werden sie doch gelenkt mit einem kleinen Ruder, wohin der will, der es führt. So ist auch die Zunge ein kleines Glied und rechnet sich große Dinge zu. Siehe, ein kleines Feuer, welch einen Wald zündet’s an!“ (Jakobusbrief, Kapitel 3, Verse 3-5)
Was meinen Sie: Was kann es heute bedeuten, „seine Zunge zu hüten“?
von Polizeipfarrer Dr. Armin Kistenbrügge
Das Faltblatt "Politische Korrektheit" aus der Reihe WissensWertes hier zum Download (Achtung: Kontakt-Adressen haben sich verändert.)